Trainingstipps für den Winter - neben dem Sattel
Wenn die Bäume im Taunus ihre Blätter verlieren und sich die Witterungsbedingungen am Gipfel des Felderbergs der Temperatur von Speiseeis nähern, ist nicht nur Herbst- und Winterzeit: es ist auch Kraftraumzeit! Im Radsport ist ein gut ausgebildetes Kraftniveau die Basis, um z. B. bei Zwischensprints, im Finale oder am Berg höhere Leistungen zu erbringen. Fehlt die Muskelkraft, können auch Herz-Kreislauf-System und Lungen nicht die maximale Leistung erbringen. Die Kraft hat damit einen großen Einfluss auf die Wettkampfleistung. Die kalten Monate sind der optimale Zeitpunkt für einen regelmäßigen Kraftraumbesuch und das erfolgreiche Steigern der Maximalkraft.
Einfach stark, was Krafttraining im Radsport bewirken kann
Die Rechnung für Radsportler erscheint einfach: Mehr Kraft auf den Pedalen bei gleich bleibender Kadenz bedeutet mehr Leistung. Und mehr Leistung bedeutet mehr Geschwindigkeit – das große Ziel jedes ambitionierten Radsportlers beim Radklassiker am 1. Mai. In der Praxis wird der Wert eines Muskelkrafttrainings für Ausdauersportler jedoch sehr kontrovers diskutiert. Während bei einigen Athleten das Krafttraining zum festen Bestandteil des Trainings zählt, machen andere einen großen Bogen um den Kraftraum. Im Radsport gibt es nicht selten die althergebrachte Vorstellung, dass sich Radfahrer mit einem Krafttraining die Tritttechnik verderben, unnütze Körpermasse zulegen und sich die Ausdauerleistung verschlechtert. Wenn für Ausdauersportler ein Trainieren der Muskelkraft empfohlen wird, dann meist in Form eines sogenannten „spezifischen Krafttrainings“. Für die Praxis heißt das: Die Wettkampfbewegungen sollen mit mehr Widerstand ausgeführt werden. Läufer sollen z. B. Berganläufe trainieren und Radsportler Berganfahrten mit hohen Übersetzungen und niedrigen Trittfrequenzen. Solche Trainingsempfehlungen beruhen auf der Annahme, dass ein Krafttraining mit Hanteln und Maschinen keinen positiven Effekt für Ausdauersportler hat. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen jedoch zunehmend die positiven Effekte eines intensiven und ergänzenden Krafttrainings für Ausdauersportler:
- Krafttraining kann die Ausdauerleistung unterstützen,
- die Muskeleffizienz und Bewegungsökonomie verbessern,
- die Leistungen bei kurzzeitigen und rennentscheidenden Antritten steigern,
- den Stütz- und Bewegungsapparat stärken, um das Verletzungs- und Verschleißrisiko zu reduzieren, gerade mit Blick auf die einseitigen Belastungen im Radsport.
Als Beispiel sei hier eine Studie an hochtrainierten dänischen Jugendradfahrern angeführt. Die Athleten konnten durch ein zusätzlich betriebenes Krafttraining mit höheren Lasten ihre Leistung bei einem Zeitfahren über 45 Minuten um bemerkenswerte 8 % steigern (Aagaard et al. 2011)!
Präventive Effekte
Im leistungsorientierten Radsport sollte das Trainieren der Muskeln nicht nur zur radsportspezifischen Leistungssteigerung dienen. Das Ziel eines Muskelkrafttrainings liegt auch in einer Stärkung der passiven Körper- und Gelenkstrukturen: Knochen, Bänder, Sehnen und Knorpel. So kann es z.B. bei Fahrten mit dem Rennrad über Kopfsteinpflaster zu hohen Belastungsspitzen auf den Stütz- und Bewegungsapparat kommen. Wer den Radklassiker Eschborn-Frankfurt kennt, weiß wie ruppig die Fahrt über den gepflasterten Marktplatz in Oberursel sein kann. Eine gut ausgebildete Muskulatur ist der beste Schutz vor solchen Belastungen. Durch ein gezielt betriebenes Krafttraining wird ein muskuläres Schutzkorsett aufgebaut und die belasteten Strukturen werden verstärkt; das Verletzungs- und Verschleißrisiko kann so wirkungsvoll reduziert werden. Durch ein gezieltes Trainieren von Muskelgruppen sollen auch die einseitigen Belastungen durch das Radfahren ausgeglichen und muskuläre Dysbalance verhindert werden. Viele Radsportler klagen über Rückenbeschwerden. Eine Ursache könnte eine schlechte Haltung und eine zu schwach ausgebildete Rumpfmuskulatur sein. Mit einem gezielten Krafttraining kann diesen Beschwerden gezielt entgegengewirkt werden.
Kraft ohne Muskelaufbau
Krafttraining wird oftmals mit ungünstigem Steigern des Körpergewichts durch eine Zunahme von Muskelmasse assoziiert. Kritiker geben zu bedenken, dass große Muskelberge Radsportler behindern und die Ausdauer verringern. Die Muskeln müssen schließlich ständig mitfahren, während die Räder gewichtsoptimiert sind. Die Angst vor einer starken Zunahme des Körpergewichts ist aber unangebracht. Zum einen hemmt das viele Ausdauertraining mit dem Rad die Zunahme an Muskelmasse. Und zum anderen darf Krafttraining nicht allein mit Muskelaufbau gleichgesetzt werden; zumal es Trainingsmethoden gibt, die allein darauf abzielen, das vorhandene Muskelpotenzial maximal auszuschöpfen – ohne dabei den Muskelquerschnitt zu vergrößern. Mit diesen Methoden (intramuskuläres Koordinationstraining; kurz IK-Training genannt) wird gezielt das Zusammenspiel zwischen Nerven und Muskeln verbessert, wodurch sich deutlich verbesserte Kraftleistungen erzielen lassen. Je nach Anforderungen der Wettkampfdisziplin kann ein Kraftgewinn mit oder ohne Zunahme von Muskelmasse erreicht werden. Bahnradsprinter profitieren durchaus davon, wenn sie mit der kraftvollen Statur griechischer Götter an den Start gehen. Bergspezialisten können dagegen ihre Kraft ohne den Aufbau von Muskelmasse steigern.
Nicht Krafttraining sondern Weihnachten beeinflusst das Körpergewicht
Radfahrer verzeichnen oftmals eine Zunahme des Körpergewichtes besonders nach der wettkampffreien Zeit, die je nach Saisonplanung etwa von Oktober bis Februar dauert. Als Ursache hierfür sehen die Athleten immer wieder ein in den Wintermonaten verstärkt betriebenes Muskelkrafttraining. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich hierbei um eine ungünstige Zunahme der passiven Körpermasse handelt. Diese Zunahme an Körperfett ist auf eine erhöhte Kalorienzufuhr bei gleichzeitigem Reduzieren des Ausdauertrainings zurückzuführen. In den Wintermonaten ist der Trainingsumfang auf dem Rad meist deutlich reduziert. Die Witterungsbedingungen und das frühe Einbrechen der Dunkelheit schränken das Trainieren im Freien deutlich ein. Gleichzeitig begünstigten weihnachtlichen Verlockungen in Form von Schokonikoläusen, Plätzchen und Glühwein das Aufnehmen einer erhöhten Kalorienmenge.
Radfahren mit „dicken“ Gängen ist KEIN Krafttraining
Ausdauersportler sind stets bestrebt, ihre Kraftausdauerleistung zu verbessern. In der Praxis gehen jedoch viele Trainingsmethoden an diesem Ziel vorbei. Es fehlt ein einheitliches Grundverständnis für den Begriff der „Kraftausdauer“, der in der Trainingslehre sehr unterschiedlich verstanden und beschrieben wird. Kraftausdauer stellt sich daher in der Praxis oftmals als eine nicht klar definierte „Mischung“ aus Kraft und Ausdauer dar. Es ist unklar, ab wann überhaupt von einem „Einsatz der Muskelkraft“ gesprochen werden sollte. Sportwissenschaftler setzen heute meist bei 50 % oder 60 % des individuellen Kraftmaximums eine Grenze. Nur bei Bewegungen mit Krafteinsätzen oberhalb dieses Wertes wird überhaupt von Kraft gesprochen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass bei den bereits erwähnten Berganfahrten mit dem Fahrrad – selbst mit großen Übersetzungen – nicht von Krafttraining gesprochen werden kann. Das mühevolle Treten am Berg wird hierbei falsch aufgefasst. Das kraftvolle Fahren mit „dicken“ Gängen ist nicht mit einem Krafttraining gleichzusetzen. Die produzierten Krafteinsätze sind nicht hoch genug, um physiologische Anpassungen im Sinne eines Krafttrainings zu erzielen. Diese Methoden stellen vielmehr ein intensives Ausdauertraining dar, bei welchem die aerobe Energiebereitstellung dominiert.
Die wichtigsten Krafttrainingsmethoden für Radsportler
Entgegen der oftmals vorherrschenden Meinung spielen die Methoden zum speziellen Trainieren der Kraftausdauer keine Rolle für Radsportler. Die erwarteten Anpassungen hinsichtlich einer verbesserten Ermüdungswiderstandsfähigkeit werden bereits durch die Form des Intervalltrainings auf dem Fahrrad erreicht. Von einem Kraftausdauertraining sind daher keine weiteren Effekte für Radsportler zu erwarten. Die wichtigsten Methoden im radsportspezifischen Krafttraining sind:
- Methoden zum Vergrößern des Muskelquerschnitts (Hypertrophietraining
- Methoden zum Optimieren des Nerv-Muskel-Zusammenspiels (intramuskuläres Koordinationstraining; auch als IK-Training bezeichnet)
Mit zunehmender Trainingsintensität beim Radtraining verändern sich die Methoden des Krafttrainings. Zu Beginn des Trainingsaufbaus wird für die antriebsrelevanten Muskeln der Beine ein umfangbetontes Muskelaufbautraining (Hypertrophie) betrieben. Je näher die Wettkampfphase rückt, desto mehr verschieben sich die Methoden des Krafttrainings in Richtung intramuskuläres Koordinationstraining (IK-Training). Hierbei werden im Krafttraining u.a. die Übungslasten erhöht und die Wiederholungszahlen reduziert. Durch die Methode des IK-Trainings wird das Niveau der Maximalkraft weiter ausgeprägt und der Sportler im Training weniger ermüdet. Die Anpassungen liegen vor allem im neuronalen Bereich.
Mit komplexen Hantelübungen den ganzen Körper trainieren
Das Ziel beim Üben im Kraftraum liegt nicht nur in einem Kräftigen der unteren Extremitäten, die zweifelsfrei beim Radfahren die Hauptarbeit leisten müssen. Die Rumpfmuskeln sowie die Muskeln der oberen Extremitäten sind ebenfalls gezielt zu trainieren. Ein muskulär gut stabilisierter Oberkörper ermöglicht dem Sportler, mehr Kraft auf die Pedale zu übertragen. Genutzt werden sollten im Kraftraum hauptsächlich komplexe Hantelübungen wie Kniebeuge, Kreuzheben, Rudern vorgebeugt und Bankdrücken. Die Rumpfmuskeln werden durch komplexe und mehrgelenkige Langhantelübungen wie Kniebeugen und Kreuzheben intensiv aktiviert und dadurch auch trainiert. Zusätzlich kann für Radsportler aber die grundsätzliche Empfehlung ausgesprochen werden, ergänzende und gezielte Rumpfkraftübungen auszuführen. Bei Radsportlern bestehen mitunter Defizite im Bereich der Rumpfstabilität, zumal das Krafttraining nur ergänzend zur Hauptdisziplin betrieben wird. Die Rumpfkraftübungen sind hinsichtlich ihrer Belastung so auszuwählen, dass sie dem Leistungszustand des Sportlers entsprechend einen Trainingsreiz bewirken. In der Praxis kommt dem Trainieren der Rumpfmuskeln heute verschiedentlich eine Überbetonung zu, besonders durch die gestiegene Aufmerksamkeit für das „Funktionelle Training“ in den letzten Jahren. An dieser Stelle soll daher noch einmal betont werden, dass das Trainieren der „Core-Kraft“ keinesfalls im Mittelpunkt stehen sollte, es stellt nur eine Ergänzung dar. Die zentrale Übung für Radsportler stellt die Kniebeuge mit Hantellast dar.
Mehr zum Thema gibt´s unter www.krafttraining-im-radsport.de
Mehr über Trainingsoptimierung für Radsportler gibt´s unter: www.iq-athletik.de